Lang ist's her...
Über 110 Jahre Viktoria 08 bedeuten auch eine wechselvolle Geschichte. Eine Geschichte von Jungen, die einfach nur Fußballspielen wollten; eine Geschichte, die viel auf und ab, zwei Weltkriege, Verbote und Neugründungen mitgemacht hat und von nicht nur sportlichen Siegen und Niederlagen und etlichen Wanderschaften und Umzügen durch die Hansestadt erzählen kann.
Doch fangen wir einfach mal an mit ein paar jungen Burschen, die eben einfach nur mal Fußballspielen wollten. Albert Fritz war einer dieser Jungs, die so gar nicht von ihrer Begeisterung für das Balltreten lassen konnten. Er wuchs in der Umgebung vor dem Holstentor auf. Anfang des letzten Jahrhunderts war es noch nicht überall erlaubt, Fußball zu spielen. So ist es auch Fritz und seinen Freunden nicht gerade leicht gemacht worden, und ihr illegales Treiben wurde von der Polizei oft unterbrochen, das Spiel- und Arbeitsgerät – der Ball – beschlagnahmt! Zum Glück hab es die Firma Stendal in Berlin, die für 6 Mark 50 einen neuen an die Unverbesserlichen von der Trave schickte. Das war 1906, und schon da nannten sie ihren Straßenclub zeitgemäß ,,Viktoria“.
So bolzten sie im Mondenschein an den Schießständen der Lohmühle und kniffen sämtliche Backen zusammen, wenn ihr Lehrer sie kräftig züchtigte, nachdem sie von den Neidern angeschwärzt worden waren. Um dies zu vermeiden aber auch um namhaften Gegner die Bude voll zu hauen, schlossen sich die 17 jährigen dem L.B.C. von 1903 an, dem heutigen LBV Phönix. Danach ging man zur Alemannia Lübeck, einem der Vorläufervereine des heutigen VfB Lübeck. Doch auch dort gefiel es unseren Jungs nicht so recht, und so beschlossen diese Pioniere und Gründer 1908 einen eigenen Fußballclub ins Leben zu rufen. Einen Namen hatten sie ja schon: SV Viktoria 08. Mit von der Partie waren Willi Kallies, Gustav Hormann, Heinrich Hortens, Richard Prange und Max Arndt. Zum ersten Vorsitzenden wurde Robert Hanke gewählt.
Schon 1909 erbaute sich dieser junge Verein einen eigenen Sportplatz am heutigen Herrendamm und war damit der zweite Verein neben dem L.B.C., der dies in Lübeck vorweisen konnte. Bis zum 1. Weltkrieg hatten sie eine erfolgreiche Mannschaft zusammen, die aber aus den kriegerischen Wirren nicht mehr vollständig nach Hause gekommen ist. Da ihr Vereinsplatz inzwischen auch noch in einen Kartoffelacker umgewandelt wurde und anderes Wichtiges zu erledigen war, war an Fußballspielen nicht zu denken.
Erst 1920 rauften sich die Reste wieder zusammen, scharten neue Begeisterte um sich, und bauten auf der Dornbreite einen neuen Sportplatz. Es waren anfangs äußerst karge Zeiten: Geld war prinzipiell knapp, die Inflation tat ihr übriges und auch die Disziplin war nicht immer die beste.
Doch die neue Viktoria gab nicht auf und erzielte fortan sportliche Erfolge und Siege: den Aufstieg in die A-Klasse, den Gewinn der Lübecker Stadtmeisterschaften 1927 und 1928.
Auf der Dornbreite wurde es schnell zu eng und so wurden die Punktspiele am Kasernenbrink ausgetragen, bis 1933.
In Deutschland und demnach auch in Lübeck unter den Nationalsozialisten wurde alles anders. Viele Vereine wurden dem NS-Sportbund einverleibt oder ganz verboten wie z.B. der Arbeiter und Sportbund, dem Viktoria angehörte.
Ein ganzes Land wurde gleichgeschaltet unter dem Hakenkreuz und der 2. Weltkrieg vom Zaun gebrochen.
Gleich 1945 wurde der Verein ein weiteres Mal neu gegründet und viele alte Viktorianer waren glücklicherweise wieder dabei: Hans Bollow, Wilhelm Rocksien, Willi und Herbert Schwarz, Heinrich Burr, Martin Buske, Heinrich Schütt, Richard Meyer, Hermann Bierett, Franz Cerzau, Hugo fick, Karl Anderson, Erwin Henning, Willi Behnke, Heinrich Markfeldt, Walter Wienke, Karl Burmester, Heinrich Frank, Bruno Behrens, Willi Brockmüller – alles Namen, die heute fast niemand mehr kennt, ohne die aber Viktoria heute nicht mehr in Lübeck spielen würde.
Hans Bollow wurde wie vor dem Krieg als erster Vorsitzender gewählt, um den Neuaufbau voranzutreiben, bis 1948 für fast drei Jahrzehnte Karl Anderson die Geschicke in die Hand nahm.
Viktoria 08 – heute noch ein reiner Fußballverein – war nicht immer nur Fußball. Der Verein vergrößerte sich: 1949 wurde die Boxstaffel der Viktoria gegründet, die bis Ende der 50er Jahre Schlagzeilen in Lübeck machte. 1959 wurde eine Tischtennisabteilung von den Spielern der damaligen 5. Mannschaft gegründet. Einige konnten gerade einmal den Schläger gerade halten, hatten aber den Mut, sich schon zur Saison 1959/60 für Punktspiele zu melden. 1964/1965 stiegen sie erstmals in die 2. Kreisklasse auf und Jahr später hatten sie bereits den Aufstieg in die 1. Kreisklasse (vergleichbar mit der damaligen Bezirksliga im Fußball) in der Tasche. Für kurze Zeit gab es auch eine Damenmannschaft, die sich aber nicht dauerhaft etablierte.
Streitigkeiten über die stiefmütterliche Behandlung der Tischtennisabteilung führten zum Bruch und zum Austritt aus dem Verein. Die Tischtennisabteilung hatte am 26.02.1975 die letzte Abteilungssitzung, in welcher die Loslösung vom Stammverein und die Gründung des TTC Victoria 60 verabschiedet wurden. So ganz von der Vergangenheit und Tradition wollte man offensichtlich aber nicht lassen und so sind der Name, wenn auch mit ,,c“ und die Jahreszahl ,,60″, nach der offiziellen Lesart die Gründung der Tischtennisabteilung, im neuen Vereinsnamen berücksichtigt. Es waren halt immer ,,Viktorianer“.
Doch das A und O – manchmal und vielleicht auch zum Leidwesen anderer Sportarten – ist der Fußball geblieben!
In der Spielserie 1964/65 gehörte Viktoria zu den erfolgreichsten Herrenmannschaften Lübecks.
Der Aufstieg in die Amateurliga, der damals dritthöchsten Spielklasse in Deutschland war zum Greifen nahe. Nachdem alle Mitbewerber aus dem Umland erfolgreich besiegt worden waren, scheiterte die Bezirksligamannschaft nur knapp an Borussia Kiel.
Ein pulsierendes Stand- und bewegendes Spielbein für erfolgreichen Fußball ist immer die Jugend. Und die hat auch bei Viktoria meisterliche Züge:
1968 wurde die Jugendmannschaft (heute die A-Jugend) Kreismeister. Das gleiche gelang in der Saison 1964/65 der ersten Schülermannschaft unter Dieter Höltig; mit 35:5 Punkten und 126:11 Toren residierten sie einsam an der Spitze.
In den 80ern wurde es immer schwieriger die Jugendmannschaft aufrecht zu erhalten. Schwache Jahrgänge und ein überaltertes Wohnumfeld nach dem Umzug auf die Falkenwiese machten es fast unmöglich, ganze Mannschaften zu stellen und neue Kinder zu gewinnen. 1988 wurde in Spielgemeinschaft mit dem SV Sereetz noch einmal eine A-Jugend ins Rennen geschickt – danach war erst einmal länger Sendepause.
1993 machten sich Ingrid und Walter Weber an die Wiederbelebung. Aus dem Umfeld der eigenen Kinder, in Koorperation mit der Stadtparkschule und im Zusammenwirken mit den Migrantenwohnheimen in der Nähe konnten wieder Kinder und allmählich Jugendmannschaften generiert werden. Die Jugendmannschaften wuchsen und das Interesse an der Mitarbeit im jugendbewegten Verein ebenfalls. Der Schwabe und Wahl-Lübecker Roman Schick begleitet den Verein seit 1995; zunächst als Elternteil am Spieleldrand und peu à peu bei einzelnen Trainingseinheiten, bevor er 1997 in die regelmäßige Trainingsarbeit einstieg und 1998 Vereinsmitglied wurde. Seit 1999 Stellvertreter des Jugendobmanns hat er 2002 diese Frontposition selbst übernommen und die ,,Geschicke“ und das Geschehen bislang derart vortrefflich geleitet und gesteuert, dass die Viktoria-Jugend stark dasteht.
2003 erspielte sich die legendäre, multikulturellste B-Jugend – Mannschaft in Lübeck und Umgebung – (18 Spieler und & 3 Trainer: 16 Herkunftsländer!) den Aufstieg in die Bezirksliga-Süd und sorgte somit für neue Aufgabenstellungen im Jugendverein: Neue leistungsfähige Spieler mussten gewonnen werden.
2004 verzeichnete der Herrenbereich einen großen Erfolg mit dem Aufstieg der 1. Herren in die Kreisliga Lübeck-Lauenburg; dieser währte leider nicht lange, bereits die folgende Saison waren wir wieder in der Kreisklasse A.
So galt es fortan wieder stärker auf das ,,Prinzip der Jugend-Bewegung“ zu setzen: demnach ist im gleiche Jahr 2004 eine fast komplette C-Jugend-Mannschaft zu uns gestoßen, die erfolgreich für Eintracht Groß Grönau gespielt hat. Stephan Erlhöfer und Thorben Fülscher vereinten ihr Team mit den leistungsbereiten Viktorianern zu einer Mannschaft, die in der Saison 2004/05 mit dem Staffelsieg, dem Gewinn der Kreismeisterschaft gegen den VfB Lübeck und dem folgenden Aufstieg in die Beziriksliga-Süd gänzlich neue Maßstäbe setzte.
Auch als B-Jugend setzte die Mannschaft ihren Erfolgskurs fort und spielte 2006/07 eine überragende Saison mit dem Beinaheaufstieg in die Verbandsliga Schleswig-Holstein – nur der TSV Siems war am Ende noch stärker!
Schon in der Saison 2005/06 bildeten Viktoria 08 und TuS Lübeck eine leider zeitlich begrenzte Spielgemeinschaft. Die Grundidee aber mündete 2007 in die Gründung der SG Hanse Lübeck, der außer Viktoria 08 der Lübecker SC von 1999 und Lübeck 1876 angehören. Die leidenschaftlich motivierte Zusammenarbeit ermöglichte es in der C- B- und A-Jugend Leistungsfußball und Breitenfußball anzubieten. Zur wirtschaftlichen und ideellen Unterstützung ist eigens ein Förderverein gegründet worden, dem auch der SV Viktoria 08 angehört.
Zusammengetragen und ergänzt von Stanley Head und Roman Schick.
Chronik der Vereinsvorsitzenden
1908 – 1920 Robert Hanke
1920 – 1921 Emil Hoffmann
1921 – 1925 Robert Hanke
1925 – 1933 Hans Bollow
1933 – 1945 Verein gewaltsam aufgelöst
1945 – 1948 Hans Bollow
1948 – 1972 Karl Anderson
1972 -1977 Werner Näther
1977 – 1982 Jürgen Meinke
1982 – 1985 Peter Moll
1985 – 1987 Jürgen Ollmann
1987 – 1997 Peter Lompa
1997 – 1999 Ingrid Weber
1999 – 2018 Heinz G. Pursche
2018 – dato Jens Hüttmann